Die Energietransformation: Von der Technik zum Menschen
Ein Kommentar von Benjamin Jobst (Prokurist und Gesamtleiter Technik bei zeitgeist engineering gmbh)
Das Themenfeld „Energiewende“ weist seit Jahren ein immenses Potenzial zur Polarisierung auf. Wer jetzt als erstes an Befürworter und Gegner der Energiewende denkt, hat schon einmal einen der kritischen Punkte gefunden – aber nicht den einzigen und vielleicht auch nicht den kritischsten.
Die Energiewende – wir verstehen es weniger als „Wende“, sondern als „Prozess“ oder „Transformation“ – vermag auch auf anderen Ebenen zu polarisieren. Da gibt es beispielsweise die Sektoren Strom, Wärme/Kälte, Mobilität und stoffliche Nutzung – auch hier wird häufig nur in einer Kategorie gedacht und die anderen als „die Anderen“ betrachtet, mit denen es keine Überschneidungen gibt. Hier gab es glücklicherweise viel Bewegung in den letzten Monaten, auch wir bei zeitgeist engineering arbeiten seit Jahren intensiv an den Themen Vernetzung von Energieformen und „echte“ Sektorenkopplung, sodass dieses Thema zwar wichtig, aber nicht Kern dieser Botschaft ist.
Die große Kluft: Technik versus Mensch
Mich bewegt eine ganz andere Polarisierung – oder auch Spaltung, die in den letzten Jahren stark zugenommen hat und trotzdem kaum beachtet wird: Die Lücke zwischen der „technischen“ und der „menschlichen“ Energiewende. Die Diskrepanz zwischen den technisch-bürokratisch-wirtschaftlichen Prozessen, die in den letzten Monaten und Jahren dafür gesorgt hat, dass in Deutschland mittlerweile 60 % des Stroms aus Erneuerbaren Energien kommt, man verstärkt (wenn auch polarisiert) über Wärmepumpe und Elektromobilität diskutiert und auch in diese Technologien investiert – und der quasi nicht stattfindenden Einbindung der Menschen als diejenigen, die eigentlich von diesem Transformationsprozess profitieren sollen und die erneuerbar gewonnene Energie nutzen. Und diejenigen, die sie verstehen und emotional akzeptieren müssen.
Durch die technisch-bürokratischen Prozesse (ich sage nur „Gesetz zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts zur Vermeidung von temporären Erzeugungsüberschüssen“) wird der Mensch noch weiter entfremdet von dem Prozess „Energietransformation“, als er es meist ohnehin schon ist. In Politik und Wissenschaft wird über Zahlen und Verbote diskutiert, Wahrheiten und Unwahrheiten gegenübergestellt, sodass Menschen, die sich nicht intensiv oder beruflich mit Energiewirtschaft und Energietechnik auseinandersetzen, im Thema Energie extrem verunsichert sind. Dabei fehlt häufig bereits das grundsätzliche Verständnis, von Energie, Energieeffizienz und den Wirkprinzipien der eingesetzten Technologien. Durch ständig wechselnde Gesetzesvorgaben, Förderprogramme und Zielsetzungen fällt es mittlerweile selbst „Experten“ in der Energiewirtschaft schwer, den geeigneten Weg zur „Energiewende“ aufzuzeigen.
Das Ziel vor Augen behalten
Der Weg lässt sich aber nur dann definieren, wenn man das Ziel deutlich vor Augen hat – und auch hier fällt es vielen Unbeteiligten schwer, die Zielsetzung der „Energiewende“ zu definieren.
Dabei ist es enorm wichtig, dass der Transformationsprozess hin zu einer nachhaltigen Energieversorgung – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit – von der Masse getragen wird. Es hilft nichts, wenn einzelne Fachleute, Aktivisten und (gelegentlich) Politik und Wirtschaft an einem Projekt arbeiten und darüber diskutieren, wenn der Großteil der Bevölkerung dabei verunsichert und unter- oder sogar fehlinformiert zurückbleibt. Auf diese Weise entsteht nicht nur Ablehnung, es bleiben auch enorme Potenziale liegen, die den Transformationsprozess enorm beschleunigen, vereinfachen und günstiger werden lassen können.
Lösungsansätze für volatile Energieerzeugung
Ein Beispiel ist die wachsende Volatilität der regenerativen Stromerzeugung durch Photovoltaik und Windstrom. Hier gibt es verschiedene Lösungsansätze, um den Anteil Erneuerbarer Energien weiter steigern zu können:
Die technische Lösung
Diese setzt auf große Speicherkapazitäten in Form von zentralen Batteriespeichersystemen, intensiven Netzausbau für den Stromtransport und den Energiespeicher Wasserstoff – alles kombiniert mit massiven Überkapazitäten in der Erzeugung zur Minimierung der Effekte von „Dunkelflauten“.
Die systemische Lösung
Diese zielt auf eine enge Vernetzung und Verzahnung zwischen Erzeugung und Verbrauch unter Nutzung der ohnehin entstehenden residualen Speicherkapazitäten, hauptsächlich in Mobilität und Wärmeversorgung. zeitgeist engineering entwirft derartige Konzepte für neue sowie bestehende Quartiere mit dem Ziel eines nachhaltig versorgten, netzdienlichen Quartiers als Teil einer intelligenten Energieversorgungsinfrastruktur.
Die monetäre Lösung
In Form von lastvariablen Netzentgelten, variablen Stromtarifen sowie dynamischen Vergütungen setzt diese auf die regelnde Wirkung des Marktprinzips. Die dafür essenziell nötige Grundlage ist jedoch eine Smart Metering Infrastruktur zur Echtzeiterfassung und -abrechnung von Erzeugung und Verbräuchen. Die Einführung derartiger Infrastruktur schleppt sich in Deutschland mittlerweile bereits seit 15 Jahren ohne sichtbare Effekte.
Der vergessene Faktor: Der Mensch
Der Faktor Mensch als „Kunde“ dieser Energieversorgungsinfrastruktur und der dahinterstehenden Prozesse wird dabei meist völlig ausgeblendet. Dabei bieten die technisch-wirtschaftlichen Lösungen sicherlich vielversprechende Ergebnisse, ohne die Beteiligung des Nutzers lässt sich aber nur die Hälfte davon umsetzen. Oder anders ausgedrückt: Solange der Mensch zu jeder Zeit beliebig viel Energie zu günstigen Preisen beziehen und Nutzen können will, fällt die technisch-wirtschaftliche Lösung aufwendig und kostenintensiv aus. Der monetäre Ansatz über variable Stromtarife könnte hier einen großen Hebel darstellen – würde er sich nicht erneut zu einem bürokratisch-technischen Monster entwickeln, das kein normaler Bürger mehr versteht.
Erfolgreiche Nutzereinbindung: Das Projekt „Powerländle“
Dabei gibt es bereits Projekte, die sich abseits dieser Pfade bewegen und die Menschen als Nutzer aktiv in das Energiesystem einbinden. Das Projekt „Powerländle“ (https://www.powerlaendle.de/) von Octopus Energy und TransnetBW. Der Übertragungsnetzbetreiber hat hier die Möglichkeit, Netzengpass-Situationen anzukündigen und per App die Teilnehmer mit Handlungsempfehlungen zu versorgen – beispielsweise „jetzt Strom verbrauchen, Geschirrspüler etc. einschalten“ oder – „Netz kritisch, Stromverbrauch vermeiden“.
Eine Teilnahme ist freiwillig, als Motivation dient in erster Linie eine Verlosung von Haushaltsgeräten, Gutscheinen oder sonstigen Gegenständen. Darüber hinaus können Kunden von Octopus Energy durch deren dynamische Strompreise profitieren. Nach ersten Ergebnissen des Pilotprojekts (https://www.pv-magazine.de/2025/02/11/netzengpaesse-app-und-gewinnspiel-sind-genug-um-lasten-zu-flexibilisieren/) konnten so beispielsweise bei einem Netzengpass im Januar durch ca. 13.000 Nutzer Energiemengen von 28,5 Megawattstunden flexibilisiert werden. Im Winter mobilisierten 2 Millionen Teilnehmer über zwei Gigawattstunden Strom.
Eine derartige Flexibilisierung durch die reine Einbindung von Nutzern zeigt das enorme Potenzial, das nicht durch technische oder monetäre Ansätze verfügbar gemacht werden kann, sondern alleine durch die Motivation der Menschen als Zielgruppe des gesamten Energietransformationsprozesses. Angesichts der “Entlohnung” für die Teilnahme an diesem Pilotprojekt kann man durchaus sagen, dass es keine übermäßigen finanziellen Anreize braucht, um die Menschen zu motivieren. Manchmal reicht eine offene Kommunikation und ein kleiner Anreiz völlig aus.
Fazit: Transformation beginnt im Kopf und Herzen
Die Energietransformation muss im Kopf stattfinden – und sie muss im Herzen ankommen!
Der Umgang mit Erneuerbaren Energien muss (selbst)verständlich und nachvollziehbar werden. Das funktioniert nur durch ehrliche, gradlinige Kommunikation, absolute Transparenz in den Prozessen und die energietechnische Aufklärung und Einbindung der gesamten Bevölkerung.
Über den Autor: Benjamin Jobst
Benjamin Jobst ist Prokurist und Gesamtleiter Technik bei zeitgeist engineering gmbh. Als Experte für Sektorenkopplung, erneuerbare Energien und netzdienliche Energiesysteme arbeitet er an der Entwicklung innovativer, dezentraler Lösungen für nachhaltige Energiekonzepte. Sein Fokus liegt auf der intelligenten Vernetzung von Erzeugung und Verbrauch, um eine zukunftsfähige Energieversorgung zu ermöglichen. Mehr über seine Arbeit auf zeitgeist-engineering.de